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Die Bäder sind geschlossen - wie trainieren trotz Corona?

Der Kanu-Opa

Wieder sind alle Bäder geschlossen. Wieder wegen Corona. Ob uns das nun passt oder nicht: wir müssen ausweichen. Aber wo trainieren im November? Und wie? Wir haben ein paar Sportler gefragt, einer von ihnen ist der SVL-Masters-Paddler Jürgen Wittek.

Jürgen Wittek ist einer der wenigen Sportler im Land, die trotz Corona trainieren dürfen wie immer. Jürgen ist 64 Jahre alt und fährt Kajak. Abstand halten ist auf dem Fluss kein Problem, und allein oder zu zweit trainieren ist gut möglich. Bevorzugt fährt der Jürgen auf dem Neckar. Bis 1976 war er SVL-Mitglied, damals ein ambitionierter junger Mann mit dem Traum vom Olympia.

Jürgen Wittek am Neckarufer (Foto: Schwimmverein Ludwigsburg)

Man könnte sagen: seit vier Jahren ist der Architekt, der in Neubulach der Nähe von Calw wohnt, wieder mit an Bord. 2016 ist der Jürgen nämlich wieder eingetreten in den Schwimmverein Ludwigsburg, dessen Kanu-Abteilung in einen Dornröschenschlaf gefallen war. Auch dank Jürgen Wittek ist die Abteilung nun wieder munter. Im Corona-Sommer haben sich rund ein halbes Dutzend Kanuten regelmäßig beim SVL-Bootshaus zum Training getroffen. Zurzeit sind die Sportler freilich maximal in Zweiter-Teams auf dem Wasser. Jürgen sagt, er fahre drei bis viermal die Woche aus dem Schwarzwaldort bis nach Ludwigsburg zum Training.

Der SVL biete halt ideale Bedingungen. Ein Bootshaus mit Parkplätzen direkt vor der Türe und mit warmen Duschen. Auf dem Neckar in Ludwigsburg könne er „sehr gut trainieren“, die Strecke vom Bootshaus bis zur Schleuse in Marbach sei gut sechs Kilometer lang - hin und zurück also satte zwölf Kilometer. Top. In Stuttgart, wo Jürgen auch lange trainiert hat, sei die Strecke nur drei Kilometer lang. Und längst nicht so idyllisch. Die Landschaft zwischen Ludwigsburg-Hoheneck und der Schillerstadt sei „um Klassen besser“.

Jürgen Wittek im Neckar. (Foto: Schwimmverein Ludwigsburg)

Jürgen Wittek ist 1956 in Waiblingen zur Welt gekommen. Mit elf Jahren entdeckt er den Kanu-Sport, paddelt zunächst sechs Jahre lang bei einem Stuttgarter Club, dann vier Jahre lang für den SVL und schließlich drei Jahre für Neckarsulm. „Durch meinen Zweier-Partner Rudolf Blass, 19-facher Deutscher Meister und zweifacher Vize-Weltmeister, wurde ich sehr gut“, erzählt Jürgen Wittek. Damals trainiert er 13-mal in der Woche, von 6 bis 7.30 Uhr in Stuttgart. Dann zur Arbeit und abends in Neckarsulm wieder aufs Wasser. „Ich war oft erst gegen 22.30 Uhr wieder zu Hause in Stuttgart.“ Wie wohl jeder gute Sportler „rechnete ich mir Chancen für einen großen Wettkampf aus“. Diese Hoffnungen seien durch den deutschen Olympia-Boykott für die Spiele in Moskau 1980 geplatzt. Der Jürgen stellt sein Paddel für viele Jahre in die Ecke, widmet sich seinem Studium und später dem Beruf und der Familie.

Zunächst probiert er als Alternativsport Squash aus, „aber dabei habe ich mir den Meniskus kaputt gemacht“. Dann fährt er „intensiv“ Rennrad, rund 8000 Kilometern im Jahr. Schließlich Karate. Doch die Probleme mit dem Knie werden immer größer. Mit 40 die ersten Anzeichen einer Arthrose - und fortan fast gar kein mehr Sport. Nun beginnt was Jürgen im Rückblick „eine Ärzte -Odyssee“ bezeichnet. Er habe viele Jahre lang keiner Behandlungsoption so richtig getraut - und sich schon am Krückstock laufen gesehen. Durch einen Zufall habe er von sogenannten Individualprothesen erfahren, die in der Sportklinik in Stuttgarter eingesetzt werden.

2014 die OP. Bereits fünf Tage nach dem Eingriff habe er das Knie schon wieder gut beugen können. Ein Traum. Nochmal zwei Wochen später der große Moment: mal wieder in einem Kajak sitzen. Heute sagt Jürgen, könne er „ins Boot steigen wie früher“. Und er kann, sagt er augenzwinkernd, wieder fast so schnell paddeln wie damal - was allerdings auch am viel besseren Material liege, den neuen Booten und den top-modernen Paddeln.

Jürgen Wittek mit Vereinskollegen am Bootshaus. (Foto: Schwimmverein Ludwigsburg)

Dass Jürgen überhaupt wieder so oft im Kajak sitzt, liegt auch am letzten Willen des verstorbenen Vorsitzenden seines Stuttgarter Kanuvereins. Der Mann hatte kurz vor seinem Tod erklärt, er fände es schön, wenn sich all die Rennsportler von früher zu einem Fest bei der Beerdigung treffen würden - im Anschluss sollten sie dann bitte noch einmal gemeinsam aufs Wasser gehen.

„Bei mir“, sagt Jürgen, „hat das gefruchtet“. Er habe wieder Spaß am Training und an dem Versuch seine Technik und Leistungsfähigkeit zu verbessern. Die „extrem gute Gruppe im SV Ludwigburg versteht sich sehr gut und jeder darf so trainieren wie er es möchte“. Zu der Gruppe gehöre auch wieder Gerd Bernhard, der von 1975 bis 1980 ein SVLer war. „Gerd ist mehrfacher Weltmeister in der Master-Klasse, wir sind schon auf einem Leistungsniveau. Wir wären mit Michael Staske zusammen in diesem Jahr bei den Bayrischen Meisterschaften gestartet“, die aber wegen der Corona-Pandemie leider ausgefallen sind.

Jürgen Wittek hat drei Enkelkinder, deshalb dürfe man ihn gerne den Kanu-Opa rufen, sagt er und lacht. Der einstige Deutsche Vizemeister und 16-fache Süddeutsche Meister will im nächsten Sommer wieder angreifen - so Corona das zulässt. Fest eingeplant seien Starts bei den Deutschen Kanu-Mastersmeisterschaften, die entweder in München oder in Duisburg stattfinden sollen.

Zur Ludwigsburger Trainingsgruppe gehören übrigens auch Anfänger, die sich peu an peu an den Kanu-Sport heran tasten. Allein das Sitzen in einem wackeligen Sportboot will nämlich gelernt sein. Die SVL-Kanuten haben zugesagt einer Schüler-Kanu-AG aus Ludwigsburg Schützenhilfe zu geben. Sie werden den Buben und Mädchen Tipps geben. Ein paar SVL-Schwimmer haben ein ähnliches Angebot längst angenommen - während des ersten Lockdowns im Frühjahr, als die Bäder auch geschlossen waren. Manche Schwimmer haben das sportliche Kanufahren als ein gutes Alternativprogramm zum Kraulen entdeckt, speziell jetzt im Corona-Jahr. Die Armbewegungen sind ähnlich, und die Ausdauer kann man auch mal auf dem Neckar trainieren statt immer nur im Wasser. Motto: Kajak statt Kraul. (Weitere Infos: https://swim.de/aktuell/schwimmersatz-kajak-statt-kraul)